Montag, 9. März 2015

Live beim Bürgerforum

Am 24.02. fand im ORF ein „Bürgerforum“ zum Thema „Angst vor dem Terror – Das Ende von Multikulti?“ statt, zu dem ich als Privatperson eingeladen worden war, um beim „aktiven Publikum“ dabei zu sein.
„Spannend“ dachte ich mir schon nach dem ersten Telefonat….. Und genau so war es auch, alhamdulillah.
Bereits um 18.30 Uhr versammelten sich die ersten SendungsteilnehmerInnen vor dem Eingang des ORF am Küniglberg. Ein sehr buntes Grüppchen von unterschiedlichen Menschen mit einem Ziel: endlich aus der Kälte ins warme ORF Zentrum zu kommen.
Leider ist beim ORF alles bis ins Detail geplant, - auch ab wann Gästen Einlass gewährt wird. Da hilft kein regennasses Kopftuch, auch der dezente Hinweis „Ich bin eingeladen“ zeigt bei der Security keine Wirkung. Aber ein Gutes hat die Warterei: bedingt durch beständigen Regen und kleinen Unterstand rücken alle sehr eng zusammen und die ersten Gespräche entstehen. Es ist ja nicht sichtbar, wer welche Meinung vertritt. – Noch nicht.

Kurze Zeit später wird man dann in Gruppen zur Garderobe geleitet, Stress bricht aus: es müssen auch alle Handtaschen abgegeben werden. – Wohin mit den Taschentüchern für die verschwitzen Hände, diversen Toilettartikeln und dem Ausweis, der später nochmals benötigt wird?
Wieder haben alle trotz offensichtlicher Unterschiede dieselben Sorgen.

Danach folgt die offizielle Begrüssung - jedeR BesucherIn wird individuell durch Gäste-Betreuerinnen über die Regeln der folgenden Aufzeichnung informiert, Kärtchen werden verteilt, auch für Getränke ist gesorgt. Ich erhalte ein signal-rotes Kärtchen, - bedeutet: ich habe die Lizenz zum Reden.
Das schweigende Publikum erhält nur blass-grüne Kärtchen. Schön. Alles klar organisiert.
Die Eingeladenen beginnen langsam anzukommen.
Bei einigen ist die Nervosität offensichtlich, es wird am Gewand gezupft, hektisch die Begleitperson gesucht und nochmal schnell die Toilette aufgesucht.
Wirklich entspannt wirkt aber niemand.
Ich treffe für mich die Entscheidung eher nichts zu sagen….. Fühle mich etwas unwohl. Außer mir habe ich noch vier Frauen mit Tuch erspäht. Und ziemlich viele offensichtlich muslimische Männer, die sich vermutlich grade auf einen großen Auftritt vorbereiten.
Hm. Was kommt da wohl noch heute Abend? Bitte nicht das, was ich befürchte.

Nach einer geführten Wanderung durch fast unendliche Gänge im ORF Gebäude stehen wir endlich vor dem Studio. Die Nervosität steigt.
„Bitte alle Leute mit grünen Kärtchen schon hinein gehen. Die Herrschaften mit den roten Kärtchen warten bitte….“ Die Betreuerinnen sind ausnehmend freundlich, das tut gut.
Nach einiger Zeit, als endlich auch die spezial-Gäste eintreten dürfen, weiß ich auch warum: Der Sitzplatz ist sehr eng bemessen. Eher für Starmania-Gäste geeignet als für wohlgenährte DurchschnittsbürgerInnen. Es gibt ein Geschiebe und Gerutsche bis jeder irgendwie auf dem schmalen Polster Platz gefunden hat.
Auch hier wieder: alles organisiert!
JedeR BetreuerIn ist mit einer Fotokopie der Tribünen-Planung ausgestattet und hat genaue Anweisung wo die Gäste zu sitzen haben.
Ich finde mich zwischen einem sehr humorigen Betriebsrat und einem leicht verschämten Vertreter der türkischen Community wieder.
Also von links gibt es keine Berührungsängste, rechts möchte respektvoll nicht bei mir ankommen.
Blöde Situation für mich.
Ah: neben links sitzt eine sehr sympathische Dame. Vielleicht kann ich rechts ein bisschen erleichtern und mit links Platz tauschen? Dann würde ich zumindest einseitig neben einer Dame sitzen und…
Ich versuche es, was einen ziemlichen Aufruhr zur Folge hat. Innerhalb von 10 Sekunden ist ein Betreuer vor Ort, wachelt hektisch mit seinem Plan und deutet streng, dass ich mich gefälligst wieder auf den zugewiesenen Platz zu setzen habe.
Links, der vorher absolut einverstanden war, möchte mich mit den Worten: „Sie will halt lieber neben einer Frau sitzen“ verteidigen.
Spätestens jetzt drehen sich alle zu uns um. Sogar H.C. der inzwischen im Studio eingetroffen ist kann sich einen irritierten Blick über den Tumult nicht verkneifen.
Jede Entschuldigung ist zwecklos. Klischees müssen erfüllt werden. Frauen mit Tuch sitzen lieber neben Frauen und haben ungern Kontakt zu Männern.
Ich wäre jetzt lieber woanders und rutsche gleich wieder auf meinen geplanten Platz.
Jetzt passt wieder alles. Alles in Ordnung.
Links entschuldigt sich für seine Verteidigung.
Ich finde mich mit der Situation ab, alles beruhigt sich wieder.

Es ist heiß im Studio. Nach einer Begrüßung durch die verantwortliche Sendeleiterin und den Moderator folgt eine filmische Einführung in die ORF Zuschauer-Regeln.
Unter anderem heißt es: „Sie dürfen jubeln, lachen, trampeln und ihre Sitznachbarn umarmen….“
Lachen im Publikum.
Ich werde langsam genervt.

Endlich geht es los.

Die erste Einspielung von einer Befragung zum Thema „Terrorismus & Zuwanderung“ in verschiedenen Bundesländern läuft. Ich frage mich, in welcher Seifenblase ich lebe, dass ich von dieser schlechten Stimmung im Land bis jetzt nur so wenig mitbekommen habe und gratuliere mir innerlich zu meinen ArbeitskollegenInnen, Gemeindebau-Nachbarn und FreundenInnen.
Danach kommt eine fast unerträgliche „Situations-Reportage“ über Terroristen im Namen des Islam.
Ich überlege kurz ob ich jetzt gehen soll, weil es sowieso sinnlos ist hier zu sitzen.
Bin aber dann doch zu feige schon wieder eine Verstörung hervorzurufen.
Also bleibe ich hoffnungslos sitzen. – Und gehe halt nur auf innere Distanz.
Dann kommen die ersten Wortmeldungen der braven Sprech-Bürger.
Beschwerden über ungehobelte Jugendliche die ihr Essen in den U-Bahnen auf Sitze legen und ältere Damen dadurch „hinausdrängen“…..
Angst vor zu vielen muslimischen Zuwanderern.
Angst vor der Angst vor Muslimen und Attacken gegen offensichtliche Musliminnen.
Ärger über „Daham statt Islam“….
Wunderbar. Genau das hatte ich mir erwartet.
Auf der Tribüne wird es unruhig.
Die eingeladenen Politiker kommen zu Wort. Überraschender Weise gibt H.C. zu, dass „ja, ja…. Als vor über 100 Jahren Bosnien noch ein Teil von Österreich war….“ der Islam doch schon vor der Migration in Österreich war und kulturelle Spuren hinterlassen hat.
„Danke, danke.“, denk ich mir. Aber noch immer kein klares Bekenntnis, dass die Muslime zu Österreich gehören.
Die Vertreterin der Opposition ist toll!
Sie kommt sympathisch rüber, redet Klartext was Zuwanderung und Bildung betrifft und ich habe endlich das Gefühl, dass es vielleicht doch jemanden gibt, der mich versteht. – Was man von den Vertretern der Koalition nicht behaupten kann.
Lob für das neue Islam-Gesetz muss natürlich an die ZuschauerInnen gebracht werden, - vielleicht ändern die über 22.000 Menschen, die in der Bürgerinitiative gegen das Gesetz unterschrieben, haben ja doch noch ihre Meinung?
Unsere Innen- & Sicherheitsministerin empfiehlt Muslimen, die angegriffen werden zur Polizei zu gehen, was eine der Mit-Diskutantinnen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen eher lächerlich findet.  Und das obwohl die beiden – auch optisch – sehr unterschiedlichen Frauen dieselbe Schule besucht haben! Eine Gemeinsamkeit trotz Unterschieden, die immerhin so verbindend ist, dass man sich nach der Sendung noch besprechen wird.
Irgendwann kommt ganz leise, aber konsequent die Änderung…
Der Beginn war für mich mein ganz persönliches Lieblingsstatement an diesem Abend: eine gestandene Tirolerin erzählt von dem kleinen Jungen aus ihrem Dorf, der meint: „Wenn sich zwei Menschen bekriegen, dann haben sie keine Liebe im Herzen….“
Das bewegt.
Nicht nur mich: es scheint, als würde sich auch der Kopf des sich später outenden Pegida-Mitmarschierers in leichter Zustimmung bewegen.
Dann erzählt eine alte Dame von ihren angenehmen, fürsorglichen türkischen Nachbarinnen im Gemeindebau.
Ich fange wieder an mich zu entspannen.
Vielleicht lebe ich ja doch in keiner Seifenblase und die ganzen präsentierten Statistiken und Umfragen repräsentieren gar nicht den Durchschnittsösterreicher?
Weiter geht es mit Bekenntnissen zueinander und konstruktiven Lösungs-Erzählungen: eine steirische Wirtin, die gegen den Widerstand der Dorfbewohner ihren Gasthof für Flüchtlinge öffnet und der es gelingt durch Information, einen klugen Bürgermeister, dem Verein Zebra und Geduld tatsächlich die Herzen der Einheimischen zu gewinnen.
-  Und das obwohl die Flüchtlinge lauter Männer sind.
Die Bemerkung H.C.´s, dass er bei Krieg und Mord seine Familie als Mann NIEMALS im Stich lassen würde und daher auch sicher kein Verständnis dafür hat, warum gerade Männer flüchten, ist  in der positiven Stimmung leider irgendwie untergegangen.
Positive Stimmung.
Genau das.
Ich möchte auch den Kufsteiner Lehrer nicht unerwähnt lassen, der sich getraut hat gleich nach den Vorfällen in Paris (von denen sich die Muslime natürlich gleich zu Beginn der Sendung bitte DEUTLICH distanzieren mussten…)laut zu sagen „Ich bin nicht Charlie…“
Er hat es live, vor 150 Menschen und einem großen Publikum, wieder getan und damit den wichtigen Punkt „Wo hört Meinungsfreiheit auf und beginnt gesellschaftliche Verantwortung bzw. Respekt?“ zu Bewusstsein gebracht.
„Wow, - diese Tiroler!“ denke ich mir. Liebe im Herzen und mutig noch dazu.
Es gibt auch eine Außenstelle für die Sendung: das Kaffee Kent…. Hat der ORF eigentlich irgendwann etwas von Produktplazierung bzw. Werbung für bestimmte Restaurants gesagt?
Egal. – Es geht ja um Multikulti.
Die Stimmung dort ist eher weniger prickelnd ist mein Eindruck.
Ich stelle heimlich die Vermutung an, dass wir uns im Studio viel wohler fühlen. – Vielleicht weil wir miteinander sind? Und nicht unter uns?

Je länger die Sendung dauert, desto netter wird es.
H.C. fühlt sich trotzdem wohl, habe ich den Eindruck.
Die Bürgerinitiative Dammstrasse muss leider auch heute wieder ohne durchschlagenden Erfolg (weg mit der Moschee  - für eine türkenfreie Brigittenau!) nach Hause gehen.
Sie wirken aber irgendwie trotzdem nicht sehr traurig. Gewohnte Schlachten dürfen ja prinzipiell lieber nicht aufhören, weil sonst ein Stückchen Sinn im Dasein fehlt. Das spüren die Beteiligten auch irgendwie. – Unbewusst.

Irgendwann kommt der Punkt, wo klar wird, dass sich die meisten eigentlich sehr einig sind:
An einem respektvollen Miteinander, Offenheit von allen Seiten bei Beibehaltung der kulturellen Eigenheiten, moralischen Grenzen wie z.B. Respekt und ein bisschen Liebe im Herzen führt kein Weg vorbei. – Und an einer Bildungsinitiative, damit die zukünftige Generation sich die ganzen Integrations-Thematiken erspart und lieber gleich eine multikulti-österreich Identität entwickelt.

Die Zeit vergeht dann doch sehr rasch. Grade als ich mich irgendwie an die Nähe von links und den Respektsabstand von rechts gewöhnt habe ist es auch schon wieder vorbei.
Jetzt tritt die Abgangs-Planung in Kraft. – Auch das wieder wohl organisiert. Wer – wie ich – gleich alleine wieder den Weg zurück suchen möchte, wird höflich, aber bestimmt, aufgefordert eine Gruppe zu bilden und gemeinsam zu gehen.
Hm.
Ok.
Das angenehme Gefühl im Bauch bleibt trotzdem.
Wir sind schon am richtigen Weg.
InshaALLAH.




Der Bericht ist aus einer subjektiven Wahrnehmung heraus entstanden und muss sich nicht mit anderen Wahrnehmungen decken!