Am 24.02. fand im ORF ein
„Bürgerforum“ zum Thema „Angst vor dem Terror – Das Ende von Multikulti?“ statt,
zu dem ich als Privatperson eingeladen worden war, um beim „aktiven Publikum“
dabei zu sein.
„Spannend“ dachte ich mir
schon nach dem ersten Telefonat….. Und genau so war es auch, alhamdulillah.
Bereits um 18.30
Uhr versammelten sich die ersten SendungsteilnehmerInnen vor dem Eingang des ORF am
Küniglberg. Ein sehr buntes Grüppchen von unterschiedlichen Menschen mit einem
Ziel: endlich aus der Kälte ins warme ORF Zentrum zu kommen.
Leider ist beim ORF alles
bis ins Detail geplant, - auch ab wann Gästen Einlass gewährt wird. Da hilft
kein regennasses Kopftuch, auch der dezente Hinweis „Ich bin eingeladen“ zeigt
bei der Security keine Wirkung. Aber ein Gutes hat die Warterei: bedingt durch
beständigen Regen und kleinen Unterstand rücken alle sehr eng zusammen und die
ersten Gespräche entstehen. Es ist ja nicht sichtbar, wer welche Meinung
vertritt. – Noch nicht.
Kurze Zeit später wird man
dann in Gruppen zur Garderobe geleitet, Stress bricht aus: es müssen auch alle
Handtaschen abgegeben werden. – Wohin mit den Taschentüchern für die
verschwitzen Hände, diversen Toilettartikeln und dem Ausweis, der später
nochmals benötigt wird?
Wieder haben alle trotz
offensichtlicher Unterschiede dieselben Sorgen.
Danach folgt die
offizielle Begrüssung - jedeR BesucherIn wird individuell durch
Gäste-Betreuerinnen über die Regeln der folgenden Aufzeichnung informiert,
Kärtchen werden verteilt, auch für Getränke ist gesorgt. Ich erhalte ein
signal-rotes Kärtchen, - bedeutet: ich habe die Lizenz zum Reden.
Das schweigende Publikum
erhält nur blass-grüne Kärtchen. Schön. Alles klar organisiert.
Die Eingeladenen beginnen
langsam anzukommen.
Bei einigen ist die
Nervosität offensichtlich, es wird am Gewand gezupft, hektisch die
Begleitperson gesucht und nochmal schnell die Toilette aufgesucht.
Wirklich entspannt wirkt
aber niemand.
Ich treffe für mich die
Entscheidung eher nichts zu sagen….. Fühle mich etwas unwohl. Außer mir habe
ich noch vier Frauen mit Tuch erspäht. Und ziemlich viele offensichtlich
muslimische Männer, die sich vermutlich grade auf einen großen Auftritt
vorbereiten.
Hm. Was kommt da wohl noch
heute Abend? Bitte nicht das, was ich befürchte.
Nach einer geführten Wanderung
durch fast unendliche Gänge im ORF Gebäude stehen wir endlich vor dem Studio. Die
Nervosität steigt.
„Bitte alle Leute mit
grünen Kärtchen schon hinein gehen. Die Herrschaften mit den roten Kärtchen
warten bitte….“ Die Betreuerinnen sind ausnehmend freundlich, das tut gut.
Nach einiger Zeit, als
endlich auch die spezial-Gäste eintreten dürfen, weiß ich auch warum: Der
Sitzplatz ist sehr eng bemessen. Eher für Starmania-Gäste geeignet als für
wohlgenährte DurchschnittsbürgerInnen. Es gibt ein Geschiebe und Gerutsche bis
jeder irgendwie auf dem schmalen Polster Platz gefunden hat.
Auch hier wieder: alles
organisiert!
JedeR BetreuerIn ist mit
einer Fotokopie der Tribünen-Planung ausgestattet und hat genaue Anweisung wo
die Gäste zu sitzen haben.
Ich finde mich zwischen
einem sehr humorigen Betriebsrat und einem leicht verschämten Vertreter der
türkischen Community wieder.
Also von links gibt es
keine Berührungsängste, rechts möchte respektvoll nicht bei mir ankommen.
Blöde Situation für mich.
Ah: neben links sitzt eine
sehr sympathische Dame. Vielleicht kann ich rechts ein bisschen erleichtern und
mit links Platz tauschen? Dann würde ich zumindest einseitig neben einer Dame
sitzen und…
Ich versuche es, was einen
ziemlichen Aufruhr zur Folge hat. Innerhalb von 10 Sekunden ist ein Betreuer
vor Ort, wachelt hektisch mit seinem Plan und deutet streng, dass ich mich
gefälligst wieder auf den zugewiesenen Platz zu setzen habe.
Links, der vorher absolut
einverstanden war, möchte mich mit den Worten: „Sie will halt lieber neben
einer Frau sitzen“ verteidigen.
Spätestens jetzt drehen
sich alle zu uns um. Sogar H.C. der inzwischen im Studio eingetroffen ist kann
sich einen irritierten Blick über den Tumult nicht verkneifen.
Jede Entschuldigung ist
zwecklos. Klischees müssen erfüllt werden. Frauen mit Tuch sitzen lieber neben
Frauen und haben ungern Kontakt zu Männern.
Ich wäre jetzt lieber
woanders und rutsche gleich wieder auf meinen geplanten Platz.
Jetzt passt wieder alles.
Alles in Ordnung.
Links entschuldigt sich
für seine Verteidigung.
Ich finde mich mit der
Situation ab, alles beruhigt sich wieder.
Es ist heiß im Studio.
Nach einer Begrüßung durch die verantwortliche Sendeleiterin und den Moderator
folgt eine filmische Einführung in die ORF Zuschauer-Regeln.
Unter anderem heißt es:
„Sie dürfen jubeln, lachen, trampeln und ihre Sitznachbarn umarmen….“
Lachen im Publikum.
Ich werde langsam genervt.
Endlich geht es los.
Die erste Einspielung von
einer Befragung zum Thema „Terrorismus & Zuwanderung“ in verschiedenen
Bundesländern läuft. Ich frage mich, in welcher Seifenblase ich lebe, dass ich
von dieser schlechten Stimmung im Land bis jetzt nur so wenig mitbekommen habe
und gratuliere mir innerlich zu meinen ArbeitskollegenInnen,
Gemeindebau-Nachbarn und FreundenInnen.
Danach kommt eine fast
unerträgliche „Situations-Reportage“ über Terroristen im Namen des Islam.
Ich überlege kurz ob ich
jetzt gehen soll, weil es sowieso sinnlos ist hier zu sitzen.
Bin aber dann doch zu feige
schon wieder eine Verstörung hervorzurufen.
Also bleibe ich
hoffnungslos sitzen. – Und gehe halt nur auf innere Distanz.
Dann kommen die ersten
Wortmeldungen der braven Sprech-Bürger.
Beschwerden über
ungehobelte Jugendliche die ihr Essen in den U-Bahnen auf Sitze legen und
ältere Damen dadurch „hinausdrängen“…..
Angst vor zu vielen
muslimischen Zuwanderern.
Angst vor der Angst vor
Muslimen und Attacken gegen offensichtliche Musliminnen.
Ärger über „Daham statt
Islam“….
Wunderbar. Genau das hatte
ich mir erwartet.
Auf der Tribüne wird es
unruhig.
Die eingeladenen Politiker
kommen zu Wort. Überraschender Weise gibt H.C. zu, dass „ja, ja…. Als vor über
100 Jahren Bosnien noch ein Teil von Österreich war….“ der Islam doch schon vor
der Migration in Österreich war und kulturelle Spuren hinterlassen hat.
„Danke, danke.“, denk ich
mir. Aber noch immer kein klares Bekenntnis, dass die Muslime zu Österreich
gehören.
Die Vertreterin der
Opposition ist toll!
Sie kommt sympathisch
rüber, redet Klartext was Zuwanderung und Bildung betrifft und ich habe endlich
das Gefühl, dass es vielleicht doch jemanden gibt, der mich versteht. – Was man von den Vertretern der Koalition nicht behaupten
kann.
Lob für das neue
Islam-Gesetz muss natürlich an die ZuschauerInnen gebracht werden, - vielleicht
ändern die über 22.000 Menschen, die in der Bürgerinitiative gegen das Gesetz
unterschrieben, haben ja doch noch ihre Meinung?
Unsere Innen- &
Sicherheitsministerin empfiehlt Muslimen, die angegriffen werden zur Polizei zu
gehen, was eine der Mit-Diskutantinnen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen eher
lächerlich findet. Und das obwohl die
beiden – auch optisch – sehr unterschiedlichen Frauen dieselbe Schule besucht
haben! Eine Gemeinsamkeit trotz Unterschieden, die immerhin so verbindend ist,
dass man sich nach der Sendung noch besprechen wird.
Irgendwann kommt ganz
leise, aber konsequent die Änderung…
Der Beginn war für mich
mein ganz persönliches Lieblingsstatement an diesem Abend: eine gestandene
Tirolerin erzählt von dem kleinen Jungen aus ihrem Dorf, der meint: „Wenn sich
zwei Menschen bekriegen, dann haben sie keine Liebe im Herzen….“
Das bewegt.
Nicht nur mich: es
scheint, als würde sich auch der Kopf des sich später outenden Pegida-Mitmarschierers
in leichter Zustimmung bewegen.
Dann erzählt eine alte
Dame von ihren angenehmen, fürsorglichen türkischen Nachbarinnen im
Gemeindebau.
Ich fange wieder an mich
zu entspannen.
Vielleicht lebe ich ja
doch in keiner Seifenblase und die ganzen präsentierten Statistiken und
Umfragen repräsentieren gar nicht den Durchschnittsösterreicher?
Weiter geht es mit
Bekenntnissen zueinander und konstruktiven Lösungs-Erzählungen: eine steirische
Wirtin, die gegen den Widerstand der Dorfbewohner ihren Gasthof für Flüchtlinge
öffnet und der es gelingt durch Information, einen klugen Bürgermeister, dem
Verein Zebra und Geduld tatsächlich die Herzen der Einheimischen zu gewinnen.
- Und das obwohl die Flüchtlinge lauter Männer
sind.
Die Bemerkung H.C.´s, dass
er bei Krieg und Mord seine Familie als Mann NIEMALS im Stich lassen würde und
daher auch sicher kein Verständnis dafür hat, warum gerade Männer flüchten,
ist in der positiven Stimmung leider
irgendwie untergegangen.
Positive Stimmung.
Genau das.
Ich möchte auch den
Kufsteiner Lehrer nicht unerwähnt lassen, der sich getraut hat gleich nach den
Vorfällen in Paris (von denen sich die Muslime natürlich gleich zu Beginn der
Sendung bitte DEUTLICH distanzieren mussten…)laut zu sagen „Ich bin nicht
Charlie…“
Er hat es live, vor 150
Menschen und einem großen Publikum, wieder getan und damit den wichtigen Punkt
„Wo hört Meinungsfreiheit auf und beginnt gesellschaftliche Verantwortung bzw.
Respekt?“ zu Bewusstsein gebracht.
„Wow, - diese Tiroler!“
denke ich mir. Liebe im Herzen und mutig noch dazu.
Es gibt auch eine
Außenstelle für die Sendung: das Kaffee Kent…. Hat der ORF eigentlich
irgendwann etwas von Produktplazierung bzw. Werbung für bestimmte Restaurants
gesagt?
Egal. – Es geht ja um
Multikulti.
Die Stimmung dort ist eher
weniger prickelnd ist mein Eindruck.
Ich stelle heimlich die
Vermutung an, dass wir uns im Studio viel wohler fühlen. – Vielleicht weil wir
miteinander sind? Und nicht unter uns?
Je länger die Sendung
dauert, desto netter wird es.
H.C. fühlt sich trotzdem
wohl, habe ich den Eindruck.
Die Bürgerinitiative
Dammstrasse muss leider auch heute wieder ohne durchschlagenden Erfolg (weg mit
der Moschee - für eine türkenfreie
Brigittenau!) nach Hause gehen.
Sie wirken aber irgendwie
trotzdem nicht sehr traurig. Gewohnte Schlachten dürfen ja prinzipiell lieber
nicht aufhören, weil sonst ein Stückchen Sinn im Dasein fehlt. Das spüren die
Beteiligten auch irgendwie. – Unbewusst.
Irgendwann kommt der
Punkt, wo klar wird, dass sich die meisten eigentlich sehr einig sind:
An einem respektvollen Miteinander,
Offenheit von allen Seiten bei Beibehaltung der kulturellen Eigenheiten,
moralischen Grenzen wie z.B. Respekt und ein bisschen Liebe im Herzen führt
kein Weg vorbei. – Und an einer Bildungsinitiative, damit die zukünftige
Generation sich die ganzen Integrations-Thematiken erspart und lieber gleich
eine multikulti-österreich Identität entwickelt.
Die Zeit vergeht dann doch
sehr rasch. Grade als ich mich irgendwie an die Nähe von links und den
Respektsabstand von rechts gewöhnt habe ist es auch schon wieder vorbei.
Jetzt tritt die
Abgangs-Planung in Kraft. – Auch das wieder wohl organisiert. Wer – wie ich –
gleich alleine wieder den Weg zurück suchen möchte, wird höflich, aber bestimmt,
aufgefordert eine Gruppe zu bilden und gemeinsam zu gehen.
Hm.
Ok.
Das angenehme Gefühl im
Bauch bleibt trotzdem.
Wir sind schon am
richtigen Weg.
InshaALLAH.
Der Bericht ist aus
einer subjektiven Wahrnehmung heraus entstanden und muss sich nicht mit anderen
Wahrnehmungen decken!