Dienstag, 11. Dezember 2018

„Womit haben wir das verdient?“ - Filmkritik


Gleich vorweg: Es handelt sich um eine Komödie, nicht um einen Dokumentarfilm oder einen intellektuell komplexen Spielfilm. Und bei Komödien werden eben unterschiedliche Geschmacksrichtungen von Humor angesprochen. Es geht nicht um Religion, sondern um Ideologien, um Religion als leere Hülse, um patriarchale Strukturen und Gesellschaftskritik insgesamt, auch wenn der Islam der Aufhänger ist. Man sieht die Welt durch die Brille der Regisseurin. Vor allem aber geht es um ein klassisches Mutter-Tochter-Hick-Hack in der Pubertät – aus Sicht der Mutter.

In vielen Szenen habe ich mich selbst direkt nach meiner Konversion gesehen: die unangenehme Frage beim Familienessen, was auf den Tisch kommt – wobei Vegetarier problemlos respektiert werden, der Verzicht auf Alkohol und Schweinefleisch aus religiösen Fragen aber oft hinterfragt wird. Die Diskussionen um die Sinnhaftigkeit, um das Warum und die Frage „Was sollen denn die anderen denken?“. Und natürlich die „Verschleierung“, die die Frau so unansehnlich mache („Fledermaus“).
Es kommen Szenen vor, die exzellent gestaltet sind und Widersprüche aufgreifen. Beispielsweise die Lungenkrebspatientin, die Angst (?) vor dem moslemischen Arzt hat, aber weiterhin ihre tägliche Ration Zigaretten raucht. Oder der Lehrer, der meint, dass das Kopftuch schon in Ordnung sei und Verbote gar nichts nützen und dann ein Schüler seine Kappe vor der Klasse abnehmen muss.
Es tut gut, komplexe Themen unverkrampft anzugehen und über Absurditäten und Widersprüche, die man (er-)lebt, zu lachen. Und ich habe im Film wirklich viel gelacht. Am amüsantesten fand ich die Gesichtsverhüllungs-Szene mit der Polizei, wo die Sinnhaftigkeit von Gesetzen nachvollziehbar beziehungsweise kritisch hinterfragt wird.

Es gab drei Szenen, die für mich als Muslima ausgesprochen demütigend waren – und ich nehme an, es ist anderen „betuchten“ Frauen ebenso ergangen.
Szene eins: Mutter Wanda sagt zur konvertierten Tochter Nina: „Ich versteh nicht, wie du jetzt so (konvertiert und mit Kopftuch) sein kannst. Letztes Jahr hab ich dich noch betrunken von einer Party abgeholt und dann hast du mir ins Auto gekotzt.“ Eine Freundin von Wanda lacht: „Jetzt hast wenigstens einen Fetzen dabei.“ Der ganze Kinosaal bricht in schallendes Gelächter aus. Danke vielmals. Mein Kopftuch ist kein Putzfetzen, sondern ein Kleidungsstück, das ich mit viel Bedacht ausgewählt habe. 

Die zweite Szene: In der Moschee, ein lagerhausähnliches Gebäude. Der Imam, stehend, belehrt die kopftuchtragenden Frauen, sitzend und demütig zu ihm aufblickend, über ihr Verhalten bei der Menstruation und das Einführen von Tampons. In dieser Szene wird die muslimische Frau, die in die Moschee geht, als dumm, unterwürfig und komplett unfähig zum eigenständigen Denken und Handeln dargestellt, auch religiöse Inhalte werden verdreht. Als i-Tüpfelchen flirtet der Imam die Mutter Wanda anschließend an und fährt sich lüstern mit der Zunge über die Lippen. „Das macht er mit allen Frauen so“, beruhigen sie die muslimischen Frauen. Ja, ja, ich hab´s schon verstanden. Es geht um die Widersprüchlichkeit, darum, dass Männer Frauen belehren und darum, dass eine Autoritätsperson und nach außen hin ehrbarer Mann, in dem Fall der Imam, im Grunde ein perverser Lüstling ist. Hier werden kirchliche Ereignisse von Missbrauch einfach „islamisiert“. Aber, dass da wieder die Frau mit Kopftuch herhalten muss, ist schon ein starkes Stück. Durch diese Szene hat der Film massiv an Qualität verloren. 

Dritte Szene: die konvertierte Nina wird schwach und gibt sich einer Schweinefleisch-Knabbernossi hin. Dann bereut sie es und wirft sich auf den Boden, während sie arabische Formeln der Vergebung murmelt. Sie ist wie von Sinnen in ihrer Unterwürfigkeit und ihrer blinden Panik, dass sie etwas Falsches gemacht hat. Alle im Saal lachen. Die dumme, primitive Muslima, die sich bemüht, sich Regeln zu unterwerfen, die einfach nur lächerlich sind. Schau sie an, wie sie sich schwach auf den Küchenboden presst und einfach gar kein Rückgrat für sich selbst hat.
Schon klar, im Film werden Szenen überspitzt dargestellt. Sie bilden nicht die Realität eins zu eins ab. Aber finden Sie nicht, dass es schon genug Feindseligkeit gegenüber praktizierenden und sichtbaren Muslimen gibt, die oft von Vorurteilen und Klischees genährt sind? Wenn Witze darauf bauen, anderen Menschen die Würde zu nehmen, finde ich sie nicht lustig, um nicht zu sagen unmenschlich, egal wen es betrifft.

Religion wird darin verdichtet, dass der Mensch sich hirnbefreit einem nicht-existenten Gott unterwirft und dass alles „haram“ ist. So wie es eben für einen atheistischen Menschen aussehen könnte. Dass aber bewusst Sachinformationen verdreht werden, grenzt – im Hinblick auf unsere derzeitige politische und gesellschaftliche Situation – an Böswilligkeit. Wenn zum Beispiel Toilettenpapier als „haram“ dargestellt wird: Dabei ist nicht das Papier verboten, sondern die Sauberkeit des Körpers ist der springende Punkt. Wasser reinigt einfach besser als Papier. Gerade jemand, der Frankreich-affin ist, müsste die spezielle Reinigung im Schambereich eigentlich von den Bidets her kennen.

Resümee

Der Film ist voller Hinweise auf gesellschaftliche Themen unserer Zeit und legt auf den Tisch, was gerne verdeckt wird. Die Überspitzung der Situationen und Rollenbilder machen ihn amüsant und provokant. Der Islam und muslimische Frauen mit Kopftuch kommen am schlechtesten weg, sie werden zumeist ins Lächerliche gezogen. Viele Witze gehen auf Kosten einer Minderheit, die ohnehin täglich starker Anfeindung ausgesetzt ist. Wer diese überspitzten Darstellungen muslimischer Alltagspraxis für bare Münze nimmt, könnte daraus schließen, dass diese Minderheit tatsächlich nicht ganz richtig tickt und könnte sich darin bestärkt fühlen, dass es ok ist, sie zu verspotten oder sich ihr überlegen zu fühlen. Schade. Mit ein wenig mehr Feingefühl und tatsächlichem Interesse an Beweggründen für religiöses Verhalten hätte der Film eine wunderbare Grundlage für offene und konstruktive Diskussionen bieten können und eine Bereicherung für die künstlerische Auseinandersetzung mit komplexen Inhalten sein können.

Drehbuch & Regie: Eva Spreitzhofer

Kritik von  Dr. Ursula Fatima Kowanda-Yassin

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